Re: Rückkehr zur alten Rechtschreibung (?)
- From: Martin Grimme <martin pycage de>
- To: gnome-de ML <gnome-de gnome org>
- Subject: Re: Rückkehr zur alten Rechtschreibung (?)
- Date: Sun, 08 Aug 2004 23:27:14 +0200
Hallo,
ich bin zwar kein Übersetzer, hatte aber Sprachwissenschaft an
der Uni und möchte noch meinen Senf dazugeben. :)
Am Sonntag, den 08.08.2004, 20:33 +0200 schrieb Sven Herzberg:
> Am Sa, den 07.08.2004 schrieb Christian Neumair um 14:16:
> > [1] http://www.cluecoder.org/manny/poll-rechtschreibung.html
Ein Projekt wie GNOME sollte nicht in einer Art übersetzt werden,
wie es manchen Leuten gerade passt, sondern sich an die offizielle
standardisierte Orthographie halten. Sonst kann es passieren, dass
GNOME bei der Wahl als Desktop schon allein deshalb ausscheidet,
weil er sich nicht an die Norm hält (man denke z.B. als Desktop
auf Schul-Computern).
Dass zwei große Verlage eine von Experten (die sich was dabei
gedacht haben) ausgearbeitete Reform im letzten Moment kippen
wollen, soll nicht auch noch unterstützt werden; aber momentan
ist es wohl "in", sich gegen Reformen aufzulehnen... na denn können
wir auch zurück zu Windows wechseln und weiter der D-Mark nachtrauern,
wenn wir nicht offen für Neues sind. ;)
Ein Scheitern der Rechtschreibreform würde zu gewaltigen Verlusten
in der Buchindustrie führen und in einem Chaos enden, weil sich
die neue Schreibweise (die viele gelernt und akzeptiert haben)
nicht ausrotten lassen wird.
> Zum anderen möchte ich hiermit ausdrücken, daß ich mich schon am
> 27.09.1998 beim schleswig-holsteinischen Volksentscheid gegen die "neue
> Rechtschreibung" gestellt hatte und auch heute dieser Einstellung bin.
> Die neue Rechtschreibung schafft genauso viele verwirrende Situationen
> wie die "alte Rechtschreibung" beinhaltete.
Meiner Meinung nach hat die Reform hauptsächlich das berichtigt was
früher unlogisch und irregulär war, z.B.
packen, Paket -> Packet
aufwendig, Aufwand -> aufwändig
Schiff fahren, Schiffahrt -> Schifffahrt
> Zum einen pfeifft die "neue" Rechtschriebung auf andere Sprachen, was
> in Konstrukten wie Spagetti, Portmonee führt, zum anderen verballhornt
> sie feststehende Begriffe wie Gameover, Happyend und Fairplay.
Wer Fremdwörtern nachtrauert hat wohl nicht begriffen, dass diese Wörter
mittlerweile fester Teil der Sprache geworden sind, und dass dieser
Prozess der "Verballhornung" immer wieder stattgefunden hat. Oder
beschwert sich heute noch irgendjemand über
Telefon (Telephon), Fotoapparat (Photo-Apparat), Tür (Thür),
Frisör (Friseur), Pullover (Pull-Over), Klo (Closette) ?
In anderen Sprachen wird so eine Einverleibung übrigens viel radikaler
betrieben als im Deutschen. Dort scheinen sich die Leute nicht so
sehr daran zu stoßen. Z.B.
Spanisch: portamonedas, delfín, teléfono
Norwegisch: etasje, Pedagogikk
> Daß auch die "alte" Rechtschreibung ihre Macken hat ist mir durchaus
> bewußt, daß muß mir hier niemand zeigen. Jedoch sind sowohl Sprache als
> auch Rechtschreibung Dinge, die seit jeher durch die Gesellschaft
> definiert wurden und es galt immer das als "richtig" (eine Definition,
> wie sie ohnehin nur in der Schule und in weiteren Prüfungen benötigt
> wird), was in der Gesellschaft verbreitet war; in den Duden übernommen
Du verwechselt Rechtschreibung hier wohl mit Wortneuschöpfungen und neu
hinzukommenden Fremdwörtern.
Im Idealfall stimmen Sprache und Schrift überein (man schreibt so wie
man spricht). Das trifft aber leider auf die wenigsten Sprachen zu, weil
Sprache einem Wandel unterworfen ist, den Schrift nicht so schnell
mitmachen kann. Englisch oder Französisch werden z.B. geschrieben wie
man vor ein paar Jahrhunderten gesprochen hat (und im Englischen lässt
sich heute keine Rechtschreibreform mehr durchführen). Niederländisch
und Polnisch hatten vor ca. 100 Jahren radikale Reformen und deshalb
stimmen Schrift und Sprache wieder einigermaßen überein.
Sorry, dass es so viel geworden ist. Da ist wohl der
Sprachwissenschaftler mit mir durchgegangen... :)
Ciao, Martin
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